11. Januar 2015

Wahrheit und Wirklichkeit

Was ist wahr, was ist wirklich passiert? Über diese Aussagen wurde schon viel philosophiert, wegen unterschiedlichen Sichtweisen sogar Kriege geführt. Doch ist es wirklich so, dass bei unterschiedlicher Wahrnehmung eine Seite die Unwahrheit äussert?

Alles was Menschen erleben hinterlässt in ihren  neuronalen Netzwerken einen Abdruck. Je stärker oder häufiger ein Abdruck aktiviert wird, umso mehr bildet er ein spezifisches emotionales Denk- und Verhaltensmuster.
In den 1980ern entwickelte Dr. Gunther Schmidt "Das hypnosystemische Modell". Er verband den Erickson'sche Therapieansatz mit Hypnose zu einem konsistenten Integrationsmodell.
Mit diesem Ansatz sind die Einrichtungen um G. Schmidt herum, nicht alleine. Auch die Gesellschaft für tiefenpsychologische Hypnose, GTH, und viele Tiefenpsychologen gehen von der Autopoiese aus. Werner J. Meinhold, Gründer der GTH, spezifizierte ab Ende der 1970er die hypno-integrative tiefenpsychologische Therapie, kurz H.I.T.T. ®, bei der die Autopiesis ein wesentlicher Aspekt ist.
Autopiesis beschreibt, dass menschliches Erleben als autonome, selbstorganisierte Wirklichkeitskonstruktion zu verstehen ist. Sie besteht aus Prozessen, deren Ergebnisse  zu bestimmten Aufmerksamkeitsfokussierungen führen. Im unbewussten Erfahrungsrepertoire dienen so gebildete, emotional verknüpfte Erfahrungsmuster als Lösungs- und Kompetenz-Muster für individuelles Er-Leben. In der Hirnforschung werden diese Muster Episodengedächtnis genannt. 

Jedes Episodengedächtnis verfügt über ein in sich eigenständiges Erlebensnetzwerk. Vergleichbar mit einer Zelle des menschlichen Körpers, die ein Teil des Ganzen ist und gleichzeitig in sich eine 'Welt' mit eigener Dynamik und individueller Lebensdauer darstellt.
Im äusseren Erleben werden Probleme und Lösungen zur Blaupause des Erlebensnetzwerkes. Sie verweisen auf Vernetzungen der Erlebniselemente und ihre Wechselwirkungen. Gemeint sind damit neben den emotionalen Wirkungen  auch Wirkungen auf Sinneskanäle, z.B. hören, sehen, schmecken, riechen, fühlen.

Forscher der Sozialpsychologie beschreiben dieses Phänomen als Priming (Higgins; Bargh; Storch u. Krause). Der Begriff wurde abgeleitet vom engl. und bedeutet Zündung. Gemeint sind damit Prozesse der unbewussten Aufmerksamkeitsfokussierung, denen spezifische Emotions-, Denk- und Verhaltensmuster folgen. Der Prime (Zünder) gleicht einem Knopfdruck, dem ein  Wirkmechanismus folgt.

Das individuelle Leben kann durch die Art und Weise des Erlebens beeinflusst werden. Alles ist in sich und miteinander vernetzt. Davon ausgehend kann - beim systemischen Stellen und in Hypnose - das individuelle Leben in Episoden betrachtet werden. Die distanzierte und gleichzeitig nahe Betrachtung ermöglicht Interventionen mit nachhaltiger Wirkung auf das Erlebnisnetzwerk. 
Perspektivenwechsel werden leichter nachvollziehbar und verändern das Episodengedächtnis. Wir erweitern Erfahrungswerte und ermöglichen Fragment-Harmonisierungen der Erlebnisnetzwerke. Jede Veränderung hat wiederum eine Auswirkung auf das individuelle Er-Leben. 

Damit schliesst sich ein theoretischer Erklärungskreislauf und es öffnet sich die Vielfalt der individuellen Wahrheiten und Wirklichkeiten. 

Auf einer eigenen Meinung beharren wird plötzlich unnötig, wenn doch jede/r recht hat, wieso sollte da jemand angegriffen werden. Wirklichkeit ist das, was wirkt. Wenn jeder Mensch in sich eigenständige Erlebensnetzwerke hat, die mehrdimensional miteinander verbunden sind, dann hat auch jeder Mensch seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit, die sich dynamisch verändert, für die er/sie selbst verantwortlich ist und die er/sie selbst aktiv beeinflussen kann.   

Ich wünsche von Herzen viel Erfolg beim Erkennen und Entwickeln der individuellen Wirklichkeiten deines Lebens.

Herzlichst

Karin 

Karin Pietzek, www.kybkom.de